2011 - Das Tier das Zukunft hat
Ernsthaftes Erzählen scheint im Vergangenen geborgen; das einstmals oder unlängst Gewesene gilt als der selbstverständliche Ort, als die zwingende Verlaufsgegenwart möglicher Geschichten. Die Fülle der Bilder, die wir aus kollektivem Wissen oder persönlicher Erinnerung heraufbeschwören können, hat vordergründig keinen Konkurrenten zu fürchten. Der Gedanke, dass alles Zurückliegende ausnahmslos Zukunft war, wirkt dagegen fast anstößig. Plötzlich sind Schicksal und Chaos im Spiel: als gnadenloses Verhängnis, als aberwitziger Zufall, als unverdientes Glück, gar als Geschenk des Himmels. Erzählerische Verfahren, die entschieden auf Erwartung und Versprechen Verschwörung und Sehnsucht setzen und mit Vorahnung, höchster Ungewissenheit, jäher Gelegenheit oder unvorhersehbarem Umschlag operieren, versprechen den Lesenden lustvolle Spannung und werden im schönsten Fall Quell einer Erlösungserfahrung, wie sie ein kausal geregelter Ablauf, das Feld des Erwartbaren und der Konsens des Bescheidwissens nicht bieten können. Warum sollen wir das Spiel mit der Zukunft den trivialen Genres überlassen?
Georg Klein
wurde 1953 in Augsburg geboren und wuchs dort auf. Nach fünfzehn Jahren Berlin lebt er heute mit seiner Frau, der Schriftstellerin Katrin de Vries, und zwei Söhnen in Ostfriesland. Er schreibt vor allem erzählende Prosa. Zuletzt erschienen „Roman unserer Kindheit“ (Roman) und „Die Logik der Süße“ (Erzählungen), beide Rowohlt 2010.
Auszeichnungen
Brüder-Grimm-Preis, Ingeborg-Bachmann-Preis, Preis der Leipziger Buchmesse